18. Oktober 2025: Zweifel an Aussage: Landgericht Wuppertal spricht Angeklagten in KO-Tropfen-Prozess frei
Die jugendliche Geschädigte sagte dem Gericht, dass sie sich an den sexuellen Übergriff ihres Freundes am Rande einer Familienfeier in Velbert nicht erinnern kann – ab dem Moment, als sie ein Getränk ausgetrunken hatte. Ein gerichtlich bestellter Drogengutachter hält eine so schnelle und vollständige Wirkung der KO-Tropfen für wissenschaftlich nicht erklärbar. Das Gericht will nicht den Falschen verurteilen, sagte die Vorsitzende Richterin.
Eine Familienfeier in Velbert im Winter 2023 wurde zum Ausgangspunkt eines Strafprozesses. Der Angeklagte, Anfang 20, stand im Verdacht, seine jugendliche Freundin unter KO-Tropfen gesetzt zu haben. Anschließend habe er gegen ihren Willen Sex mit ihr gehabt. Die Geschädigte gab an, sich ab dem Moment an nichts mehr erinnern zu können, als sie in ihrem Zimmer ein Getränk ausgetrunken hatte. Ein gerichtlich bestellter Experte hingegen erklärte, dass eine solch schnelle Wirkung der Tropfen wissenschaftlich nicht erklärbar sei. Vor diesem Hintergrund entschied das Gericht, dass Zweifel an den Vorwürfen bestehen bleiben: Die Richterinnen und Richter sprachen den Mann frei.
Der Angeklagte war für den Prozess auf freiem Fuß. Die Vorsitzende Richterin sprach von einem Verfahren "um alles oder nichts". Der Vorwurf bedeutete einen sexuellen Übergriff mit einer womöglich lebensgefährlichen Droge, im selben Haus wie die vielen Partygäste aus der Familie des Mädchens. Die Verhandlung erstreckte sich über sieben Sitzungstage, mit einer langen Reihe Zeugen und mit Drogengutachten. Es gab Beweise dafür, dass der Geschlechtsverkehr stattgefunden hatte, aber welche Substanz das Mädchen möglicherweise zu sich genommen hat, blieb offen. KO-Tropfen sind in Blutproben nur kurze Zeit nachweisbar. Das Fehlen einer Spur in einer Probe heißt nicht, dass keine solche Substanz eingesetzt wurde. Der entscheidende Punkt war ihre Aussage: Der Schilderung nach hatte sich die Narkose "wie eine schwarze Blende" vor ihre Erinnerung geschoben.
Der Drogenexperte jedoch beschrieb: Bei Schlucken von KO-Tropfen mit einem Getränk würde die Droge verzögert aufgenommen. Man müsse von zehn Minuten ausgehen, bis die Wirkung da sei. So wie die Jugendliche es beschrieb - sie habe getrunken und wisse ab da nichts mehr, auch nicht wie sie ins Bett gekommen sei - sei es wissenschaftlich nicht nachvollziehbar.
Das Fazit des Gerichts ist, dass im Zweifel für den Angeklagten freigesprochen werden muss. Die Vorsitzende Richterin erläuterte: "Wir, die wir hier richten müssen, wollen nicht nach einer Verurteilung eines Tages aufwachen und uns sagen müssen: Vielleicht war er doch nicht schuldig." Sie stellte heraus, wie die Jugendliche ihre Aussage beteuert hatte: "Ich würde Sie doch nicht anlügen", habe sie dem Gericht gesagt.
Die Version des Angeklagten lasse sich nicht widerlegen, wonach es einvernehmlichen Sex in dem Zimmer gegeben habe. Allein seine Beschreibung, dass er viermal nachgefragt habe, ob seine Freundin auch wolle, wies das Gericht zurück. Das sei nach heutigen Maßstäben übertrieben, sagte die Vorsitzende. Nur folge daraus aber eben nicht, dass er gelogen hätte.
Den Freispruch hatten Staatsanwaltschaft und Verteidigung übereinstimmend beantragt. Von der Familie der Jugendlichen hatte sich eine Person mit einer Anwältin aktiv am Verfahren beteiligt. Sie kann verlangen, dass der Freispruch vom Bundesgerichtshof als nächsthöherem Gericht überprüft wird.
Behörden und Beratungsstellen nehmen das Thema KO-Tropfen ernst. Die Zahlen steigen und man geht davon aus, dass viele Übergriffe nicht bekannt werden. 2023 schloss die Polizei landesweit 3383 Ermittlungen zu sexueller Nötigung oder Vergewaltigung ab. Taten mit betäubenden Drogen betreffen oft Partys und Tanzveranstaltungen. Experten raten, offene Getränke nicht aus dem Blick zu lassen und sie nicht von Fremden anzunehmen. Wer betroffen ist, kann sich anonym an das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch unter der kostenfreien Rufnummer 0800 22 55 530 wenden.
Urteil des Landgerichts Wuppertal, 4. Strafkammer, vom 17. Oktober 2025.
Ich berichte vom Besuch der Urteilsverkündung.
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