Dirk Lotze - Journalist
Scharia-Polizei: So trieben Medien die Politik vor sich her

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Scharia-Polizei: So trieben Medien die Politik vor sich her

index.jpg: 1024x682, 86k (15. Dezember 2016)
Prozessbeginn gegen die sogenannte Scharia-Polizei im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Wuppertal. Archivfoto: Dirk Lotze

Wuppertal. Das massive Echo auf die sogenannte Scharia-Polizei von Wuppertal war das Ergebnis von Medien-Mache. Die Folgen: politische Verschiebungen, weltweite Resonanz und ein aufwändiger Strafprozess. Das zeigt sich nach dem Landgerichts-Verfahren gegen die Gruppe. Die veröffentlichten Berichte über die Aktion der sieben Angeklagten vom Abend des 3. September 2014 hatten kaum etwas mit dem nun aufgeklärten Geschehen zu tun.

"Der Westen" schrieb online von "Einschüchterung" gegen Passanten und von Verunsicherung. Eine Ausweitung der "Propaganda-Gang" auf andere Städte sei geplant. Die lokale Westdeutsche Zeitung erklärte, die Gruppe treibe "ihr Unwesen" und lauere vor Gaststätten. Besucher sollten "womöglich" in militärische Ausbildungscamps im Nahen Osten gelockt werden. Ein Experte wurde zitiert.

Dem gegenüber stehen die Zeugenaussagen. Ein Spielhallen-Chef hatte die Gruppe für einem Junggesellen-Abschied gehalten. Junge Männer, damals zwischen 23 und 32 Jahren alt, in billigen Warnwesten. Die Mitarbeiterin eines anderen Lokals hatte arabische Flyer von den Angeklagten zunächst angenommen. Ihr Eindruck von der Gruppe: "Nett und freundlich." Die Zettel warf sie später einfach weg.

Keine Belästigung, keine Einschüchterung

Die Wuppertaler Polizei hatte trotz mehrerer Streifenwagen vor Ort, trotz Ermittlungen des Dienstgruppenleiters und Rückfragen beim Staatsschutz keine verdächtigen Umtriebe feststellen können. Es wurde entschieden, nichtmals die Westen mit dem Aufdruck "Sharia Police" einzusammeln. Laut Gericht wäre das beim geringsten Verdacht möglich gewesen. Staatsanwaltschaft und Polizei suchten später über Wochen weitere Zeugen. Es fand sich niemand, der den Richtern von Belästigung, Nötigung oder Einschüchterung berichtet hätte. Auch nicht von Kontrollen, die als Amtsanmaßung hätten ausgelegt werden können. Schon gar nicht von Anwerbung zum bewaffneten Kampf.

Die Angeklagten haben im Verfahren geschwiegen. Aus ihrem Umfeld gibt es eine eigene Darstellung in einem halbstündigen Internet-Video. Gezeigt werden Vorträge des mutmaßlichen Anführers Sven Lau. Die Scharia sei "nicht nur" Handabhacken und Steinigen. Gezeigt werden aber auch klar die Positionen der Gruppe: Man sei gegen Glücksspiel, Bordellbesuche und Alkohol. Man wisse, dass man keine Ordnungsmacht sei, dass es für Verstöße gegen das islamische Recht in Deutschland keine Strafzettel gibt. Bloßstellen wolle man ebenfalls niemanden. Absicht sei, in die Moschee einzuladen. Man würde sich selbst gern ermahnen lassen, wenn man mal vom rechten Weg ab käme. Lau: "Was könnte denn schöner sein? Ich würde mich freuen." Zum Schluss fordert er die Sozialarbeiter des Landes heraus. Er könne in drei Monaten mehr Jugendliche "von der Straße holen" als sie in einem Jahr. Und er sagt: Die Scharia-Polizei war eine einmalige Aktion. Ein PR-Gag, auf den alle hereingefallen seien.

Als zusätzliches Beweismittel, gleich anschließend, spielte das Gericht einen Fernsehbericht des ZDF-Mittagsmagazins vor. Den hatte die Polizei als Beispiel für die Berichterstattung abgespeichert und so zum Teil der Ermittlungsakte gemacht. Ein Ausschnitt aus dem Video der Gruppe ist zu sehen, Männer in Warnwesten. Dazu eine gesprochene Einordnung: "Offenbar versucht diese Truppe, Gefolgsleute für den heiligen Krieg zu gewinnen." - "Sven Lau sieht sich als legitimen Ordnungshüter." Und: "Kein Alkohol, kein Glücksspiel - das wollen sie durchsetzen." Insgesamt vier Minuten geht der Beitrag. Aufnahmen von einem Attentat werden dazu geschnitten, anscheinend aus Syrien. Der Verfassungsschutz kommt zu Wort.

Erschreckender Kontrast zwischen den Versionen

Der Kontrast zwischen den beiden Filmen könnte stärker kaum sein. Anwalt Harald Benninghoven, sichtlich entsetzt: "Da wird das Tragen von Warnwesten gleichgesetzt mit einem Bombenanschlag."

Das ZDF erläuterte nach der Verhandlung auf Anfrage, man habe Informationen zum Hintergrund der Gruppe in den Bericht einfließen lassen: "Sven Lau ist seit vielen Jahren als Aktivist der salafistischen Szene bekannt. Wenn Sven Lau als Scharia-Polizist durch die Stadt zieht, ist das als ein Teil seiner politischen beziehungsweise religiösen Arbeit zu sehen." Man habe nicht auf jede Einzelheit eingehen können: "Es handelte sich um einen Bericht für die Aktualität, in dem der Sachverhalt kurz und möglichst prägnant dargestellt wird." Und, zur Sequenz aus dem Nahen Osten: "Die Bilder waren allgemeine Themenbilder, die zur Illustration des 'Dschihads' dienten. Eine Religionspolizei aus einem bestimmten Land zu zeigen, hätte unzulässige Vergleiche nahegelegt."

Welche Folgen die Berichte hatten, wird wiederum anhand von Zeugenaussagen klar. Ein früherer Sachbearbeiter der Polizei erläuterte dem Gericht: "Es gab Druck von der Presse." Die Staatsanwaltschaft habe sich deshalb mit Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher abgestimmt. Statt dem zuvor festgestellten "keine Straftat erkennbar" lautete das neue Ergebnis: "Ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz soll angenommen werden." Einen urspünglichen "kleinen Bericht" habe man nachträglich zu einer Strafanzeige "umgepfriemelt". NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) äußerte sich zur Scharia-Polizei ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Autor eines Brandbriefs ans Landgericht schrieb nach dem Freispruch im Dezember 2015: Er jedenfalls fühle sich von den Angeklagten bedroht. Schon allein aufgrund der Medienberichte.

Wendepunkt in der Wahrnehmung

Das ZDF erläutert dazu: "Die Scharia-Polizei markiert einen Wandel in der Berichterstattung. Sie wurde zum politischen Symbol des Überschreitens einer Grenze. Durch die Berichterstattung über diese salafistische PR-Aktion wurde die Politik sensibilisiert, stärker gegen die Salafisten vorzugehen."

Dazu freilich gehen die Stimmen auseinander. Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach (CDU) teilt auf Anfrage mit: "Ein 'Wendepunkt' waren wohl eher die berühmt-berüchtigte Kölner-Silvesternacht beim Jahreswechsel 2015/2016 oder die Koranverteilungsaktion 'Lies!' – denn hier wurden durchgreifende Konsequenzen gezogen, durch den Gesetzgeber und die zuständigen Sicherheitsbehörden."

Den Ablauf der Ermittlungen zur Scharia-Polizei kommentierte Bosbach nicht. Er wisse nicht, "ab wann endlich 'Dampf in der Hütte' war."

Sogar das Oberlandesgericht zitierte in einer öffentlichen Mitteilung vom Mai 2016 Aussagen aus dem Video der Gruppe verkürzt. So wurde auf eine Erklärung Laus verwiesen, wonach der Rundgang von Dritten so wahrgenommen werden solle, "wie das Ordnungsamt oder die Polizei, die auf Streife ist". Im Video fügte er an dieser Stelle aber hinzu, wie das zu verstehen sei: Ein Gläubiger, der jemanden mit einer Scharia-Weste in der Stadt sehe, würde allein dadurch an die religiösen Regeln erinnert, die er selber einhalten wollte. Weiter zitierte das Oberlandesgericht Lau damit, "dass die Gesetzgebung Allahs durchgeführt wird." Im Video sagt er an der entsprechenden Stelle aber nur, dass eben das sein Wunsch sei. Der Beschluss des Strafsenats zum Verfahren mit seiner Begründung ist in dieser Hinsicht näher am Video.

Vor dem Landgericht hatte Anwältin Andrea Groß-Bölting angemerkt: Das Geschehen um die Scharia-Polizei ist weder mit dem Selbstdarstellungs-Video noch mit dem öffentlich vorgespielten Medienbericht deckungsgleich. Sie fügte hinzu: "Grundlage der Entscheidung im Strafprozess ist nicht, was die Presse aus etwas macht. Grundlage ist, was passiert ist." Verteidiger Klaus Sewald hatte dem Staatsanwalt im Hinblick auf die Anklagepunkte nahegelegt: "Wenn's das Pferd nicht mehr tut, sollte man absteigen."

Das Landgericht hat die sieben Angeklagten in erster Instanz freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat dagegen Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt. Ein Termin zur Entscheidung steht noch nicht fest. Ein Strafverfahren gegen Sven Lau wegen Durchführens einer nicht angemeldeten Veranstaltung ist vorläufig eingestellt, weil er wegen Terrorismus-Vorwürfen belangt wird. Der zitierte ZDF-Bericht nennt als Autoren Thomas Münten und Heiko Rahms.

Zuerst erschienen auf Xing.


Leserzuschriften

Da sieht man mal wieder, wie viel Macht die Presse hat.
Birgit Nwokolo, Wuppertal

Unfassbar! Mir fehlen echt die Worte. Fehlt nur noch, dass bald die Medien so viel Einfluss haben, dass sogar das Gericht sich an Medienberichten und nicht an Fakten beziehungsweise Zeugenaussagen orientiert. Wie gut, dass ich mich wenigstens noch auf meinen Instinkt verlassen kann, der mir immer wieder sagt: Trau den Medien nicht (immer)!
Maria Klukas, Wuppertal

Das Wort des Jahres heißt 'postfaktisch' und ich finde, es passt ganz gut.
Samir Kadiric, Wuppertal

Sehr guter Text zur Einordnung des gesamten Sachverhalts!
Bernhard Falk, Islamische Gefangenenhilfe, Köln

Zuletzt geändert am 14. Oktober 2019